Emotion and Restraint in the Visual Arts / Gezügelte Gefühle in den Bildkünsten, 1750 - 1850
6.–7. Dezember 2024
In einem vielbeachteten Essay hat Yve-Alain Bois 1986 »The Task of Mourning« als zentrales Charakteristikum der Malerei im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert benannt. Diese emotional konnotierte Aufgabe ist jedoch auch schon in den künstlerischen Ausdrucksformen der Jahrzehnte um 1800 omnipräsent, bevor sie von den materialistischen Strömungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts überblendet wird. Davor ist das Vorkommen von Bildern der Trauer ein dermaßen übergreifendes Phänomen, dass es sogar geeignet ist, die Polarität von Klassizismus und Romantik zu relativieren. Ab etwa 1750 sind Trauermotive und -stimmungen in allen künstlerischen Gattungen unübersehbar. Die kunsthistorische Forschung hat sich damit vor allem hinsichtlich der Säkularisierung und der Auflösung ikonographischer Normvorstellungen beschäftigt (z. B. Werner Busch, Das sentimentalische Bild, 1993). Tatsächlich wird Trauern in der »Sattelzeit« erstmals als existenzielles Bildthema isoliert, teilweise auch jenseits moralischer oder theologischer Rückkopplungen. Antonio Canovas plastische Grabmalentwürfe spielen unentwegt alte und neue figürliche Trauermotive durch; John Flaxman wirft eine Trauerprozession nach der anderen aufs Blatt; Étienne-Louis Boullée kombiniert in den Kenotaphen seiner Papierarchitektur Trauer und Erhabenheit; Jacques-Louis David und seine Schüler wählen mit Vorliebe verhängnisvolle Szenen mit trauervollem Sentiment; in großer Zahl bevölkern Trauerfiguren die Historiengemälden der Düsseldorfer Schule. In Malerei und Skulptur, ganz zu schweigen von den graphischen Künsten, wird allenthalben getrauert: um Feldherrn, Politiker, Künstler, Päpste, um Familienangehörige, um Selbstmörder und zum Tode Verurteilte, um Heimat oder Ehre, ja sogar um die verfließende Zeit.
Schon Tiepolos Figur des trauernden Achill in der Villa Valmarana (1757) markiert eine klare Abgrenzung zu barocken Pathosformeln. Der Gegensatz zum Früheren ist unmittelbar erfahrbar – aber wie lässt er sich begrifflich fassen? Ein Kennzeichen von Trauermotiven ist sicherlich die Kontrolliertheit der Emotion; sie lassen sich somit als Inversion von gesteigertem Ausdruck und Pathos begreifen. Doch warum wird der Wunsch nach Bildern des schmerzhaften Verlusts ausgerechnet in der Aufklärungsepoche so stark, die wie keine vor ihr von Fortschrittsoptimismus getragen war? Wieso scheint für diese Bilder die Transformation christlicher Sujets als besonders geeignet erachtet worden zu sein? Geht die neue Visualität des Trauerns mit veränderten genderspezifischen Zuschreibungen einher? Besteht eine Kausalität zwischen dem Rückzug von Trauernden in sich selbst und dem Reduktionismus der klassizistischen Formensprache? Welche Rolle für die Trauerikonographie spielt die Erweiterung des Antikenkanons durch die beginnende Archäologie? Welchen Anteil haben Konzepte der Anthropologie, Frühformen der Psychologie und die naturwissenschaftlich-medizinische Erforschung des Menschen und seiner Gemütsbewegungen? Lässt sich ein plausibler Zusammenhang der Trauer-Konjunktur in der Kunst mit gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen begründen?
Die Tagung möchte diesen und anderen Fragen rund um das historische Trauerthema weitflächig nachgehen. Die Spannweite möglicher Vortragsthemen reicht von der Motiv- bis zur Mentalitätsgeschichte; auch Beiträge zu dem Phänomen aus dem Blickwinkel anderer Disziplinen wie Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft oder Wissenschaftsgeschichte sind willkommen. Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch.
Würzburg, Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg und Toscanasaal der Residenz
Organized by / Veranstaltet von:
Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg (Damian Dombrowski) und
Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 19. Jahrhunderts (Michael Thimann)
Georg-August-Universität Göttingen · Kunstgeschichtliches Seminar und Kunstsammlung · Nikolausberger Weg 15 · 37073 Göttingen
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