Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 19. Jahrhunderts

 

The Art of Mourning / Die Kunst des Trauerns

Emotion and Restraint in the Visual Arts / Gezügelte Gefühle in den Bildkünsten, 1750 - 1850
5. Dezember 2024

In einem vielbeachteten Essay hat Yve-Alain Bois 1986 »The Task of Mourning« als zentrales Charakteristikum der Malerei im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert benannt. Diese emotional konnotierte Aufgabe ist jedoch auch schon in den künstlerischen Ausdrucksformen der Jahrzehnte um 1800 omnipräsent, bevor sie von den materialistischen Strömungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts überblendet wird. Davor ist das Vorkommen von Bildern der Trauer ein dermaßen übergreifendes Phänomen, dass es sogar geeignet ist, die Polarität von Klassizismus und Romantik zu relativieren. Ab etwa 1750 sind Trauermotive und -stimmungen in allen künstlerischen Gattungen unübersehbar. Die kunsthistorische Forschung hat sich damit vor allem hinsichtlich der Säkularisierung und der Auflösung ikonographischer Normvorstellungen beschäftigt (z. B. Werner Busch, Das sentimentalische Bild, 1993). Tatsächlich wird Trauern in der »Sattelzeit« erstmals als existenzielles Bildthema isoliert, teilweise auch jenseits moralischer oder theologischer Rückkopplungen. Antonio Canovas plastische Grabmalentwürfe spielen unentwegt alte und neue figürliche Trauermotive durch; John Flaxman wirft eine Trauerprozession nach der anderen aufs Blatt; Étienne-Louis Boullée kombiniert in den Kenotaphen seiner Papierarchitektur Trauer und Erhabenheit; Jacques-Louis David und seine Schüler wählen mit Vorliebe verhängnisvolle Szenen mit trauervollem Sentiment; in großer Zahl bevölkern Trauerfiguren die Historiengemälden der Düsseldorfer Schule. In Malerei und Skulptur, ganz zu schweigen von den graphischen Künsten, wird allenthalben getrauert: um Feldherrn, Politiker, Künstler, Päpste, um Familienangehörige, um Selbstmörder und zum Tode Verurteilte, um Heimat oder Ehre, ja sogar um die verfließende Zeit.

Schon Tiepolos Figur des trauernden Achill in der Villa Valmarana (1757) markiert eine klare Abgrenzung zu barocken Pathosformeln. Der Gegensatz zum Früheren ist unmittelbar erfahrbar – aber wie lässt er sich begrifflich fassen? Ein Kennzeichen von Trauermotiven ist sicherlich die Kontrolliertheit der Emotion; sie lassen sich somit als Inversion von gesteigertem Ausdruck und Pathos begreifen. Doch warum wird der Wunsch nach Bildern des schmerzhaften Verlusts ausgerechnet in der Aufklärungsepoche so stark, die wie keine vor ihr von Fortschrittsoptimismus getragen war? Wieso scheint für diese Bilder die Transformation christlicher Sujets als besonders geeignet erachtet worden zu sein? Geht die neue Visualität des Trauerns mit veränderten genderspezifischen Zuschreibungen einher? Besteht eine Kausalität zwischen dem Rückzug von Trauernden in sich selbst und dem Reduktionismus der klassizistischen Formensprache? Welche Rolle für die Trauerikonographie spielt die Erweiterung des Antikenkanons durch die beginnende Archäologie? Welchen Anteil haben Konzepte der Anthropologie, Frühformen der Psychologie und die naturwissenschaftlich-medizinische Erforschung des Menschen und seiner Gemütsbewegungen? Lässt sich ein plausibler Zusammenhang der Trauer-Konjunktur in der Kunst mit gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen begründen?

Die Tagung möchte diesen und anderen Fragen rund um das historische Trauerthema weitflächig nachgehen. Die Spannweite möglicher Vortragsthemen reicht von der Motiv- bis zur Mentalitätsgeschichte; auch Beiträge zu dem Phänomen aus dem Blickwinkel anderer Disziplinen wie Musikwissenschaft, Literaturwissenschaft oder Wissenschaftsgeschichte sind willkommen. Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch.

PROGRAMM

Donnerstag 5. Dezember 2024

9 h Michael Thimann, Damian Dombrowski
Begrüßung und Einführung / Welcome and Introduction

Impulsvortrag | Keynote Lecture
9.30 h Werner Busch, FU Berlin
Die Kunst des Trauerns. Gezügelte Emotionen in den Bildkünsten, 1750–1850

10.15 h Diskussion | Discussion

10.30 h Kaffeepause / Coffee Break

Sektion 1: Sentimentalisierte Trauer | Sentimentalised Mourning

11 h Noémi Duperron, Université de Genève
»Touch(ing) With Sentiment«: Gavin Hamilton’s Grievers and Smith’s Theory of Moral Sentiments

Franca Buss, Universität Hamburg
Um die Wette weinen. Johann August Nahls Grabmal für Maria Magdalena Langhans und die Sentimentalisierung des Todes

Lisa Hecht, Philipps-Universität Marburg
Trauer oder Langeweile? Die Eleganz des ‚Nichtstuns› in Damenbildnissen des englischen 18. Jahrhunderts

12.30 h Diskussion | Discussion

13 h Mittagspause | Lunch Break

Sektion 2: Trauer-Orte | Places of Mourning

14.30 h Daniela Roberts, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Die Tugend überdauert den Schmerz. Horace Walpoles Grabmal für seine Mutter in der Westminster Abbey

Eric Sergent, Laboratoire de recherche historique Rhône-Alpes
Mourning and Grief in French Funerary Sculpture

Martina Sitt, Kunsthochschule Kassel
Trauer-Plätze des Klassizismus – Vielschichtige Aspekte der Gestaltung von Licht und Raum

16 h Diskussion | Discussion

16.30 h Kaffeepause / Coffee Break

Sektion 3: Entgöttlichte Trauer? | Grief without Deity?

17 h Maria Schabel, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Erneuerung religiöser Bildsprache? Fallstudien biblischer Trauerikonographie um 1800 am Beispiel zweier Werke Johann Martin von Wagners

Lorenzo Giammattei & Antonio Soldi, Sapienza Università di Roma
Comparing Perspectives of Eternity in the Elaboration of the MourningTheme in Painting: From Death for a Religiously Connoted Afterlife to
Death as an Opportunity to Create an Ethical and Virtuous Model for the Present Time

Cordula Grewe, Indiana University Bloomington
Seelenmalerei, oder: Wie bewahrt man seine Fassung?

18.30 h Diskussion | Discussion

20 h Gemeinsames Abendessen | Conference Dinner

Live verfolgen am 5.12.: https://uni-wuerzburg.zoom-x.de/j/65481073427?pwd=2FVkUUaBicA2rZaQQlbsaigTfMOtoB.1

Freitag, 6. Dezember 2024

Sektion 4: Trauern an der Epochenschwelle / Mourning in the Age of Transition

9 h Damian Dombrowski, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
»l’ultimo soffio di felicità in Europa«? Tiepolo’s Sense of Loss

Isabelle Le Pape, DRAC Normandie, Rouen
From Caspar David Friedrich to Courbet’s Enterrement à Ornans: The Image of Mourning in French and German Romantic Painting

Susanne Adina Meyer, Università di Macerata
Morire con grazia. Bilder des Trauerns im Spiegel des römischen Kunstdiskurses

10.30 h Diskussion | Discussion

11 Kaffeepause | Coffee Break

Sektion 5: Antike als Trauer-Modell / Antiquity as a Model of Mourning

11.30 h Carolin Goll, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Trauern in der griechischen Tragödie – Martin von Wagners Zeichnungen nach Euripides

Johannes Myssok, Kunstakademie Düsseldorf
Canova and the Art of Mourning

Jochen Griesbach, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Niobe ist überall? Zur Antikenrezeption mütterlicher Trauer in Bildern des 18. und 19. Jahrhunderts

13 h Diskussion | Discussion

13.30 h Mittagspause | Lunch Break

Sektion 6: Politisches Trauern / Political Mourning

15 h Tobias Kämpf, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen
Mourning at Missolonghi. Political Artworks as Compensations for Loss

Cigdem Özel, Universität Wien
Trauern für die Monarchie am Beispiel von Miniaturporträts Eduard Ströhlings

Philip Schinkel, Universität Hamburg
Grenzen überschreiten. Männertränen im belgischen Nationalmythos bei Louis Gallait

16.30 h Diskussion | Discussion

ca. 17 h Ende der Tagung | End of conference

Live verfolgen am 6.12.: https://uni-wuerzburg.zoom-x.de/j/61975968982?pwd=Ajd8YDaC3zPuMJ774nEGvZWSkKLhDk.1

Würzburg, Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg und Toscanasaal der Residenz

Organized by / Veranstaltet von:
Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg (Damian Dombrowski) und
Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 19. Jahrhunderts (Michael Thimann)

Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 19. Jahrhunderts e. V.

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